Ich mein das gar nicht despektierlich mit der Begriff der Heimatdichtung. Es gibt da gute und schlimme Beispiele für den Mißbrauch des Sentiments. Das vor allem dürfte den eigentlichen Sinngehalt von H. ausmachen, daß sie nämlich zuvörderst dem Sinne und Sentiment entsprechen möchte, daß sie ein Bekanntes setzt, nämlich das Umfeld, von dem ausgehend sie sich in die Welt wagt, allerdings nur ein kleines Stück weit, nämlich bis zum Tellerrand. Davon dann ein Blick hinüber, und schon ist Schluß mit lustig.
Das ist die Grenze der Dichtung, daß sie ein Idyllisches bedurft/bedarf, um sich nicht zu verlieren.
Und darob hab ich meine Sorge, ob's denn literarisch zu nennen ist?
Ja, ist es, auch ein Idylliker ist Literat, eher noch Dichter als ein Zyniker, dem's nicht wohl so drauf ankommen möchte, daß er Stimmungen trifft. Er ist selbst eine.
Aber jetzt gerate ich in sehr seichtes Fahrwasser. Um es auf den Punkt zu formulieren: Der Funktuationspunkt ist entscheidend. Wenn die Heimat und ihre Veränderungen durch fixierbare Ereignisse, wenn die Entwicklung des lyrischen Ichs nur im Kontext seiner Eingebundenheit in einen Topos "Heimat" thematisiert wird, dann hat da jemand Heimatdichtung betrieben. Wenn dagegen der Ort austauschbar oder beinahe ist, statt dessen aber anderes (Drogen, Krieg, Individualisierung, Klimawandel, Geld, Zerrüttung etc.) dasjenige ist, auf das sich die Dichtung immer wieder zubewegt, dann ist's eben keine Heimatdichtung.
Ich stelle L.Peppels Text hier mit ein, der Ordnung halber:
Heimat (von L. Peppel, geschrieben Anfang November 2001 im Forum)
Aus deinem demokratischen Mund
steigen unbedachte Schmetterlinge.
Unter ihren schwarzen Flügeln
hängen Bomben und Raketen.
Das kalte Feuer deiner frühen Worte
schmiedet keimfrei eine Klinge.
Du,mein Land wie Abraham,
willst folgsam Mutteraugen röten.
Doch: an deiner rauhen Haut
will ich schadlos schlafend liegen.
Auch wenn ich träumend weiß,
so süß schmeckt nur ein Traum.
Auch, wenn ich aus allen Wolken falle,
ich will auf deinem Atem fliegen,
auch wenn die Pferde wütend schnauben,
in der Quadriga Bronzes Zaum.
1. Leserreaktion von Uisgeovid
Lieber Elpeppel,
diesen Text hast Du qualitativ aus einer ganz anderen Schublade geholt als den letzten. Ich warne jedermann davor, ihn nur flüchtig zu lesen und dann so ein gequältes "ach ja" von sich zu geben.
Die erste Zeile ist so etwas von sperrig und schafft doch ein neues Bild. Warum denn nicht so etwas sagen? Mir gefallen die Alliterationen "Feuer...frühen Worte" und "keimfrei ...Klinge". Wenn man Dichter ist, darf man auch "Du, mein Land..." sagen. Das "folgsam" ist ein wunderbarer Seitenhieb. Alles in allem setzt die erste Strophe einen melancholischen Ton, wenig kämpferisch für ein garstig politisch Lied. Aber bedenke, Leser, die Überschrift ist ja auch Heimat! Und jetzt kömmt's: Das "Doch". Im Bezug auf Heimat muss es hier sein. Was dann kommt, hat so ein wenig den patriotischen Touch des "right or wrong, my country", aber es ist ein Gedicht in deutscher Zunge und deswegen bleibt der Patriotismus sehr blass. Stattdessen findest Du Bilder eines inneren Ich, wohlgemerkt, nicht eines abgekehrten. Dann noch die Anspielung auf das Brandenburger Tor, Hauptstadt, der Kreis schließt sich, Du kommst zum Heimatgedanken zurück, besänftigend zwar, doch bleibt der Hauch von Geschichte auch.
Liebe/lieber L.Peppel, diesen Text muss man mehrfach lesen, es wäre eine Möglichkeit für mich, wieder an politische Lyrik zu denken.
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