erstellt vonner ZEIT:
Die Angebote, welche die Initiatoren des Aufrufes heute von der Regierung fordern, sie lagen auch schon 2008 auf dem Tisch. Bei allem Entgegenkommen aber stellte Steinmeier damals klar: Es würde keine Modernisierung ohne lebendige Zivilgesellschaft, freies Unternehmertum, Rechtsstaatlichkeit und eine pluralistische Öffentlichkeit geben – daran ließ er keinen Zweifel. Die Modernisierungspartnerschaft jedoch wurde von der russischen Seite ausgeschlagen. Die gleiche Balance zwischen Offenheit und Prinzipienfestigkeit findet Steinmeier auch heute wieder, bei noch sehr viel rauerem Gegenwind. Steinmeier spricht von dem Respekt, den Russen und Deutsche füreinander aufbringen müssen – und von dem Vertrauen Dritter. Letzteres ist der wunde Punkt, der in manchen
deutschen Appellen zu besseren Beziehungen mit Russland gern vergessen wird. Er erinnert an das "Unheil, wenn russische und deutsche Herrscher" sich allzu gut verstanden – nämlich bei den vier Teilungen Polens vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. "Uns muss bewusst sein, wie historische Erfahrungen wie diese unsere Nachbarn bis heute beunruhigen", bekannte der deutsche Außenminister jetzt auf russischem Boden. Die Einsicht, dass die deutsche Sicherheit untrennbar mit der Polens verbunden ist, wird in Deutschland immer noch nicht von allen geteilt. Steinmeier aber will nicht mit Russland über die Köpfe der Nachbarn hinweg verhandeln.
Steinmeier zeigt in Jekaterinburg, wie man klar auf das Geschehene schauen und trotzdem im Gespräch bleiben kann. Er verurteilt die "russische Annexion der Krim" und die einseitige Verschiebung von Grenzen ohne Achtung für staatliche Souveränität: "So dürfen wir nicht miteinander umgehen." Aber er warnt auch, dass die politische Entfremdung nicht auf die Menschen übergreifen dürfe.
Und dann macht er Angebote.
So schlägt er etwa vor, die EU und die Eurasische Wirtschaftsunion sollten einen Dialog eröffnen. Das greift einen alten Vorschlag auf, für den sich seinerzeit Medwedew starkgemacht hatte, einen gemeinsamen Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok. Steinmeier spricht vorsichtig von einem "ersten Ansatz" in diese Richtung, aber er sendet das Signal, dass er hier vieles versuchen will.
Es schwingt Enttäuschung, ja Trauer mit, wenn Steinmeier konstatiert, Russland verfolge "heute seine außenpolitischen Interessen eher in Abgrenzung zu Europa". Es herrsche in Europa "die Befürchtung, Russland suche eine weltpolitische Rolle, die sich weniger auf Partnerschaft und stattdessen
auf militärische Stärke gründet." Die Annahme, dass dafür der Westen die Schuld trage und Russland nur Opfer sei, liegt ihm fern. Ohne Sicherheit kann nichts wachsen. "Nur mit und nicht gegen Russland" könne das für Europa gehen, aber für Russland eben auch "nur mit und nicht gegen Europa", fügt er hinzu. Steinmeier will langfristig die "Instrumente der kooperativen Sicherheit in Europa wiederherstellen".
Auf Deutschland kommt es in einem Jahr an. Berlin übernimmt 2016 den Vorsitz der OSZE, des letzten Dachs, unter dem Russen, die EU-Staaten und Amerikaner noch über europäische Sicherheit reden können. Die Russen schauen skeptisch auf die OSZE, in der sie sich immer wieder die scharfe Kritik kleinerer osteuropäischer Staaten anhören müssen. Die Amerikaner reden derzeit sowieso nicht gern mit den Russen. Die Deutschen nehmen sich da einiges vor.
Frank-Walter Steinmeier kann der teilweise erbitterten Debatte in Deutschland über die richtige Russlandpolitik nicht entkommen. Aber der Druck scheint ihn zu beflügeln. Mitten in Russland hat Frank-Walter Steinmeier jedenfalls eine implizite Gegenrede zu jenem Aufruf gehalten, der die Bundesregierung zur Verbesserung der Beziehungen mit Russland mahnt. Mitten in Russland entwindet er auch den Linken in seiner eigenen Partei die Argumente. Steinmeier ist ihnen mit seiner Reise nach Jekaterinburg schon weit vorausgeeilt.
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